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Wie viel ein gemeinsames Essen bedeutet - Süddeutsche Zeitung

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An den Tag, der so einschneidende Veränderungen brachte, erinnert sich Stefanie Tischbiereck noch ganz genau. Für die Leiterin des Alten- und Servicezentrums Laim der Arbeiterwohlfahrt war es eine schockierende Nachricht, dass von diesem Tag an alle Freizeiteinrichtungen geschlossen bleiben mussten. "Wir leben davon, dass die Leute zu uns kommen, dass wir offen sind für Veranstaltungen", sagt Stefanie Tischbiereck. Die über die Stadt verteilten 32 Alten- und Servicezentren (ASZ) sind Angebote der offenen Altenhilfe, ihre Arbeit soll einer Vereinsamung älterer Menschen entgegenwirken, Probleme lösen. Für viele Senioren gerade auch mit geringem Einkommen hat sich der Mittagstisch im ASZ zu einem willkommenen Anlass entwickelt, mal wieder unter Menschen zu gehen.

Doch seit Dienstag, 17. März, war es damit erst einmal vorbei: Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie mussten die Alten- und Service-Zentren geschlossen bleiben. Deswegen länger in Schockstarre zu verfallen, konnten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht leisten. "Wir mussten unsere Arbeit so organisieren, dass keine Lücken entstehen. Wir haben an unsere Leute gedacht, überlegt, wie machen wir das jetzt mit der Versorgung", erzählt Stefanie Tischbiereck. "Dann haben wir alle uns bekannten Personen abtelefoniert und mit ihnen besprochen, wie wir sie versorgen können." So seien die Teilnehmer des Mittagstischs dann zwei bis drei Mal pro Woche mit Fertigmenüs beliefert worden.

Regelmäßig Kontakt zu halten mit den ASZ-Gästen war wichtig. "Viele von unseren Leuten sind krank und bedürftig", erklärt Stefanie Tischbiereck. Zudem seien auch alle Themen weiter präsent, die im Leben vorkommen: Einen Umzug organisieren oder einen Antrag auf Pflegeleistungen stellen, einen Pflegedienst finden. Und dort, wo unter dem Eindruck der Corona-Pandemie und der Kontaktbeschränkungen psychische Krisen drohten, den Kontakt telefonisch zu halten, um so zur Entlastung beizutragen. "Viele Leute waren verängstigt", sagt die ASZ-Leiterin. In den Telefongesprächen kam das zum Ausdruck, etwa in Fragen zum richtigen Verhalten, um eine Ansteckung zu vermeiden. Mit zunehmender Dauer der Kontaktbeschränkungen litten die Senioren unter Einsamkeit, zumal viele allein leben. Eine Befragung durch das Sozialreferat habe ergeben, dass mit der Isolation eine deutliche Zunahme psychischer Belastung einherging. "Das Fehlen von Sozialkontakten, mangelnde Kommunikation und Bewegung führt bereits nach relativ kurzer Zeit zu physischem Abbau und psychischen Sorgen", stellt Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) fest. Eine Beobachtung, die Stefanie Tischbiereck nur bestätigen kann. Manche Senioren hätten körperlich in den vergangenen vier Monaten erheblich abgebaut.

Weil Senioren nicht nur aufgrund ihres Alters, sondern wegen Krankheit oder Behinderung zur Risikogruppe gehörten, fiel auch das Einkaufen weg, das noch ein wenig Abwechslung hätte bringen können. "Soziale Arbeit ist in dieser Zeit besonders wichtig", sagt Stefanie Tischbiereck. "Den Menschen Hoffnung und Zuversicht geben, die Furcht nehmen, dass Schlechtes passiert." Dabei hätten auch die ehrenamtlichen Seniorenbegleiter geholfen, die den Kontakt zu denen von ihnen betreuten älteren Menschen in der schwierigen Zeit telefonisch hielten.

Während der Ausgangsbeschränkungen habe sich rasch die zentrale Bedeutung der ASZ auch als Anlaufstelle für die Beratung und psychosoziale Betreuung älterer Menschen gezeigt, betont Sozialreferentin Schiwy. Die ASZ hätten in den vergangenen Wochen "keinen einzigen Tag ihren Betrieb eingestellt", sondern bestmögliche Unterstützung geboten. Menschen mit geringem Einkommen konnten über die ASZ kostenlos Essen auf Rädern oder eine Grundversorgung mit Lebensmitteln sowie mit Hygiene- und Pflegeartikeln erhalten. Allein von Mitte März bis Mitte Mai hätten die ASZ etwa 15 000 ältere Menschen erreicht und begleitet, im Schnitt knapp 500 je ASZ.

Stefanie Tischbiereck ist Leiterin des ASZ Laim. Sie freut sich nun, dass die Angebote dort wieder ausgeweitet werden können.

(Foto: Robert Haas)

Inzwischen hätten die Zentren damit begonnen, schrittweise wieder zu öffnen, berichtet Schiwy auf Anfrage der SPD/Volt-Stadtratsfraktion. Angefangen hat es mit der Beratung unter Beachtung der nötigen Schutzmaßnahmen, wie etwa Plexiglaswänden. Seit dem 29. Juni findet im ASZ Laim wieder der Mittagstisch statt, natürlich nach üblichen Hygiene- und Schutzvorkehrungen. "Die Leute freuen sich, wieder rauszukommen, es wird wieder lauter bei uns", sagt Stefanie Tischbiereck. Auch wenn es noch kein offener Betrieb ist: "Mit telefonischer Anmeldung können die Leute wieder zu uns kommen." Um Einlass zu erhalten, müssen sie an der Tür klingeln. "Die Leute sind heilfroh, wieder ein konkretes Ziel für den Tag zu haben, aus dem Haus zu gehen und bei uns etwas Gesundes zu essen zu bekommen." Dank eines großen Raumes dürfen 24 Personen und somit fast alle zum Mittagstisch mit Abstand kommen. "Manche Leute holen sich das Essen ab, sie wollen mehr Sicherheit."

Auch ruhige Angebote für kleinere Gruppen, wie etwa das Frauenfrühstück, laufen wieder an. Doch vom Normalbetrieb, als täglich bis zu 250 Leute die verschiedenen Angebote nutzten, ist das ASZ Laim noch weit entfernt, derzeit kommen etwa 40 bis 50 Leute. "Wir sind einfach noch nicht in der Zeit, in der wir früher waren", sagt die Leiterin. "Eine weitere Öffnung oder aber eine Rückkehr zu stärkeren Einschränkungen sei "sehr stark abhängig vom Infektionsgeschehen und bleibt eine Gratwanderung", fasst Schiwy die Situation zusammen.




July 16, 2020 at 11:50PM
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